Freitag, 1. Oktober 2010

DESIGN // WIE SIEHT DIE ZUKUNFT AUS, FRAU FEIREISS?

http://www.stylemag-online.net/2010/10/01/30-jahre-aedes-wie-sieht-die-zukunft-aus-frau-feireiss/
































Vielleicht muss man neuen Projekten mit positiver Naivität begegnen statt mit Risikogedanken. So jedenfalls beschreibt Kristin Feireiss ihre Gründung des Aedes Architekturforums in Berlin, der ersten Architekturgalerie weltweit. Gemeinsam mit einer Freundin eröffnete sie vor 30 Jahren die erste Architekturausstellung in einem 50 qm kleinen Ladenlokal in Charlottenburg. 'Klein anzufangen hatte den Vorteil, dass wir nichts an Dritte delegieren konnten, das förderte den Kontakt zu unseren Entdeckungen.' Mit vielen ist sie heute befreundet. In diesem Jahr feiert das Aedes Forum, mittlerweile auf einem 600 qm großen Areal im Pfefferberg angesiedelt, den 30. Geburtstag. Über 400 Ausstellungen und ebenso viele Kataloge hat Feireiss begleitet. Wir sprachen mit ihr über Berlins Stadtplanung, Wiesen statt Schlösser, junge Talente und die ewig Gestrigen.
Sie haben vor 30 Jahren eine Galerie für Architektur gegründet. Ist Architektur Kunst?
Allenfalls angewandte Kunst. Auf jeden Fall ist sie immer Ausdruck der kulturellen Entwicklung eines Landes, einer Region, einer Stadt. Wir wollten nie Architekturzeichnungen verkaufen, sondern Architektur kommunizieren. Da wir selbst keine Architekten sind, präjudizieren wir keine Stilrichtung. Was uns spannend erscheint stellen wir für ein breites Publikum zur Diskussion, machen Architektur optisch begreifbar, wecken Interesse und Freude, regen aber auch zum kritischen Umgang mit Städteplanung an.
Wie sieht denn die Stadtplanung der Zukunft aus? 
Im Moment leben rund 60 Prozent der Menschen in Städten, in zehn Jahren werden es 75 Prozent sein. Die Herausforderung besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leben, Wohnen und Arbeiten zu schaffen. In Städten wie Frankfurt am Main, die am Wochenende leer gefegt sind, stimmt dieses Verhältnis nicht. Da sich der gesellschaftliche Wandel in Städten sehr dynamisch vollzieht, lässt sich Stadtplanung nicht für Jahrzehnte im Voraus bestimmen. Berlin wurde in den vergangenen 20 Jahren leider ohne Rücksicht zugebaut. Plötzlich gab es zu viele Büros an ungeeigneten Standorten, zu viele Wohnungen in Randgebieten und alles verbunden mit Leerstand und einem flächendeckenden Stildiktat. Heute gibt es den Begriff der 'prozesshaften Stadtentwicklung': Man muss Voraussetzungen schaffen, sich auf notwendige bauliche Eingriffe beschränken und Freiräume für zukünftige Entwicklungen lassen.
Und was wünschen Sie sich architektonisch und städtebaulich für Berlins Zukunft?
Warum muss Berlin ein Schloss bauen und sagt nicht: Wir haben gerade genug andere Aufgaben in der Stadt, wir machen die Fläche grün, die nächste Generation mit sicher anderen Prioritäten kümmert sich darum? Es herrscht eine Diskrepanz zwischen dem, was Berlin und seine kreative Szene ausmachen und der restriktiven Architektur, die das Stadtbild bestimmt. Ich wünsche mir mehr Gelassenheit und Offenheit vom Senat, den Institutionen und der Bürokratie. Und mehr Freude an temporären Nutzungen. Wenn Projekte nur für ein paar Jahre da sind, muss man auch keine Angst davor haben, dass etwas im wörtlichen Sinne 'verbaut' wird.
Um manche Architekten gibt es einen regelrechten Starkult. Wer begeistert Sie?
Wir wollen vor allem junge Talente entdecken. Mit Zaha Hadid zum Beispiel haben wir vor 29 Jahren die erste Ausstellung in Europa gemacht, da hatte sie gerade ihren ersten Wettbewerb gewonnen. Das Projekt, das wir zeigten, wurde nicht einmal realisiert. Sie wurde anfangs völlig unterschätzt, Kritiker meinten, sie sei 'eine arabische Prinzessin, die großartig zeichnen kann, aber niemals bauen wird'. Im Laufe der Jahre konnte sie zeigen, welches herausragende Talent in ihr steckt. Stararchitekten sind für mich diejenigen, die für jede Aufgabe eine innovative, maßgeschneiderte und einmalige Lösung finden.
Und wer hat Sie enttäuscht? 
Enttäuscht klingt zu persönlich. Frank Gehry zum Beispiel hat die internationale Architekturszene angeregt und beeinflusst wie kein anderer. Aber nach sehr spannenden Projekten, etwa dem Guggenheim Museum in Bilbao, trat kreativer Stillstand ein. Das ist okay, warum muss ein Mensch bis an sein Lebensende schöpferisch sein? Aber dann kamen Wiederholungen, das Perpetuieren des eigenen Stils – das ist ermüdend.
Ist denn die Handschrift eines Architekten nicht wichtig?
Sie ist entscheidend. Aber sie bedeutet nicht zwangsläufig eine immer gleiche Formsprache, sondern sollte von der jeweiligen Aufgabe abhängen.
Welche Architekten sind zukunftsweisend?
Ein Beispiel aus Berlin ist das Neue Museum von David Chipperfield: er hat die Geschichte des Orts im Dialog mit zeitgenössischen Elementen lebendig werden lassen. Dieser Umgang mit historischen Bauten ist weltweit vorbildhaft. Das ist beim Martin-Gropius-Bau nicht gelungen, man kann Gebäude auch tot restaurieren.
Und etwas weniger prominent?
Es ist immer unbefriedigend, nur einzelne Büros zu nennen aber Sauerbruch Hutton gehören dazu, Jürgen Mayer H. in der jüngeren Generation und auch das Raumlabor, das mit temporären Interventionen im urbanen Raum überrascht, z.B. einem Opernprojekt oder einem mobilen Kinderliteraturhaus in sozial schwachen Gebieten. Solche Ansätze finde ich sehr spannend.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein für zeitgenössische Architektur?
Nachhaltigkeit bezieht sich bei der Architektur nicht nur auf Gebäude sondern auch auf die Infrastruktur. Ein ökologisches Gebäude muss auch gut erreichbar sein. Mobilität ist wichtig: Wie kommen die Menschen schnell und umweltfreundlich an ihr Ziel? Der richtige Umgang mit Nachhaltigkeit in Bezug auf Architektur ist erst erreicht, wenn ökologische Aspekte nicht mehr hervorgehoben werden müssen, sondern selbstverständlich sind. Wenn es nicht mehr nur um Reduzierung von Energie geht oder darum, ein emissionsfreies 'Zero-Haus' zu bauen, sondern mit einem Haus sogar Energie zu generieren. In naher Zukunft wird das möglich sein. Eine ermutigende Vorstellung.
www.aedes-arc.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen